Im April 2017 habe ich meinen ersten DNA-Test gemacht, bei Living DNA. Ohne irgendwelche Erwartungen und aus reiner Neugierde. Einige Zeit später kamen die Ergebnisse und die Herkunftsanalyse las sich zunächst sehr skurril.
Lt. Living DNA waren dort Anteile von
95,9 % Großbritannien und Irland
und nur 4,1 % Europa (Nord und West)
vorhanden.
Wie konnte so ein Ergebnis zustande kommen, obwohl mir keinerlei Britische oder Irländische Vorfahren bekannt sind, diese kommen aus dem Oldenburger Münsterland, den heutigen Landkreisen Cloppenburg und Vechta.
Joachim I. Koch:
Die Sache hat zwei hauptsächliche Erklärungen. Einmal ist das Erbgut in einigen Teilen von Europa recht ähnlich und damit nicht ganz leicht, zu unterscheiden. Und zum Anderen sind die Anbieter darin unterschiedlich gut. Living DNA liegt da im Mittelfeld und ist bekannt dafür, die Britischen Inseln überzubewerten. Die Sinnhaftigkeit des Ergebnisses ergibt sich hier eigentlich nur in einer weltweiten Betrachtung. Sie sind nicht Chinese, Inder oder Schwarzafrikaner. Selbst innerhalb Europas sind Sie als Nordwesteuropäerin richtig erkannt. Nur der letzte Schritt der Zuschreibung ist leider falsch.
Inzwischen gab es ein Update zur Herkunftsschätzung, derzeit sind die Anteile bei Living DNA bei mir wie folgt verteilt:
50,1 % Europa, Nord und West,
49,9 % Großbritannien und Irland.
Also noch immer ein sehr hoher Anteil Großbritannien und Irland.
Einige Zeit nach Living DNA machte ich einen Test bei MyHeritage. Das Ergebnis dieser Schätzung lautet:
39,5 % Engländerin,
32 % Nordwesteuropäerin,
28,5 % Skandinavierin.
Es folgte Test 3 bei Ancestry, dort sieht die Verteilung derzeit so aus:
50 %, Deutschsprachige Regionen Europas
24 %, England, Wales und Westeuropa
22 % Schweden und
4 %. Norwegen
Bei allen Anbietern fällt mir ein recht hoher Anteil England und bei MyHeritage und Ancestry auch bei den skandinavischen Länder auf. Warum ist das so?
Joachim I. Koch:
Die Anbieter kommen ganz überwiegend aus der angelsächsischen Welt und behandeln das Deutsche etwas stiefmütterlich. Bei Erbgut, welches z. B. Deutsch oder Skandinavisch oder auch Deutsch oder Englisch gedeutet werden kann, entscheidet man sich regelmäßig gegen eine Deutung als Deutsch. Die geschichtlich bedingte Abneigung gegenüber allem Deutschen ist erheblich größer, als es hierzulande bewusst ist. Erst Recht, wenn es um´s Eingemachte geht, etwa die Identität. Die wissenschaftliche Debatte darüber, wie groß oder klein nun der Einfluss der eingewanderten Angelsachsen ist, wurde in England von der Öffentlichkeit sehr emotional begleitet. Es kann sich kein Unternehmen leisten, einen tatsächlichen Engländer als 30% deutsch auszuweisen. Der wird dann richtig als 100% Engländer ausgewiesen um den Preis, dass ein Nordwestdeutscher dann unrichtig zu 50% als Engländer ausgewiesen wird. Das sollte man als Deutscher wissen, um die Ergebnisse richtig zu verstehen. Die tatsächliche Schwierigkeit hinter alledem ist die Ähnlichkeit des Erbgutes.
Verwenden die unterschiedlichen Anbieter unterschiedliche Regionen?
Joachim I. Koch:
Ja und das gilt es, zu beachten. MyHeritage hat z. B. gar keine eigenständige Komponente für Deutsche. Da ist man dann regelmäßig Nord- und Westeuropa, England, Skandinavien, Osteuropa und Balkan. Viele denken dann: „Oh, dann bin ich ja gar nicht deutsch.“ Osteuropa ist gelegentlich unterschiedlich definiert und bei AncestryDNA hat man aus der Schwierigkeit, die DNS von diesseits und jenseits des Ärmelkanals zu unterscheiden, die Konsequenz gezogen, eine übergreifende Gruppe zu erstellen. Das ist die oben von Ihnen genannte Gruppe „England, Wales und Westeuropa“. Wenn man nachschaut, was dazugehört, dann sieht man, dass diese Gruppe auch erhebliche Teile von Westdeutschland umfasst. Da sollte man jeweils nachlesen.
Verwenden alle Anbieter die gleichen Zeiträume für ihre Herkunftsschätzungen? Welche Zeiträume werden zugrunde gelegt?
Joachim I. Koch:
Wenn man die z. T. unterschiedlich formulierten Angaben in Jahreszahlen umsetzt, erhält man:
- LivingDNA: um 1700
- AncestryDNA: um 1000
- 23andMe: um 1500
- FTDNA: um 1 bis 1900 (!)
- MyHeritage: keine Angabe
Wie kommen diese unterschiedlichen Ergebnisse zustande?
Joachim I. Koch:
Teilweise, indem die Komponenten unterschiedlich definiert und damit nicht eins zu eins vergleichbar sind und teilweise dadurch, dass die Unternehmen einfach unterschiedlich gut in der Herkunftsschätzung sind.
Welche Bedeutung haben die kleineren Werte? Also wenn bspw. bei MyHeritage 2 % Südeuropa angezeigt werden würden?
Joachim I. Koch:
Das ist jetzt vielleicht als Antwort unbefriedigend, aber es hängt sowohl von dem Unternehmen, als auch von der Komponente, ab. 2% Südeuropa bei MyHeritage besagt nichts in Bezug auf die Herkunft. MyHeritage ist wirklich schlecht und man sollte deren Herkunftsschätzung am besten unbeachtet lassen. Sollten aber z. B. 10% Nigeria ausgewiesen werden, könnte man schon davon ausgehen, größenordnungsmäßig 5-15% schwarzafrikanisches Erbgut zu haben. 1-2% Nigeria ist bei MyHeritage wiederum vollkommen nichtssagend. Sollte jemand hingegen bei AncestryDNA 2% Nigeria erhalten, wäre das Ernst zu nehmen. Nicht wirklich als Nigeria, aber als nigeriaähnliches Erbgut und man könnte dann annehmen, dass man etwa 1-3% schwarzafrikanisches Ebgut hat.
Diese Denke ist auch auf größere Anteile anzuwenden. Ihre 22% Schweden bei AncestryDNA sind als 22% schwedenähnliches Erbgut zu verstehen. Man wird mit Recht folgern können, dass dieses aus Nordwesteuropa stammt. Ob es aber aus Schweden stammt oder aus dem Oldenburger Münsterland, kann man aber nicht wissen.
Lediglich bei der Firma. 23andMe kann man höhere Erwartungen anlegen. Wenn 23andMe 20,0% Scandinavia angeben würde, kann man sich praktisch darauf verlassen, einen Anteil aus Skandinavien zu haben. Bei bis etwa 10,0% Scandinavia bei 23andMe könnte man das noch nicht. Bei 23andMe wären m. E. auch schon 0,3% Subsaharan African (Schwarzafrika) Ernst zu nehmen.
Kann man einen der Testanbieter empfehlen in Bezug auf die Herkunftsschätzung?
Joachim I. Koch:
Ja, 23andMe. Die haben neben den vergleichbaren Zuschreibungen gleichzeitig auch breitere Zuschreibungen, wie „broadly Northwestern European“ (allgemein nordwesteuropäisch) und „broadly European“ (allgemein europäisch). Für einige Leute ist das zwar unbefriedigend, aber in der Sache ist das nur ein Zeichen von Seriösität. Wenn ich ein bestimmtes Erbgut nicht genauer zuschreiben kann, ist es nur ehrlich, das auch auszudrücken, anstatt es einfach irgendwo zuzuschreiben.
Die zweitbeste Herkunftsschätzung ist dann bei AncestryDNA.
Gibt es Alternativen zu diesen Herkunftsschätzungen der einzelnen Anbieter?
Joachim I. Koch:
Man kann seine DNS-Rohdaten unentgeltlich zu Seite GEDmatch.com hochladen und dort verschiedene Herkunftsrechner ausprobieren. Gute Ergebnisse liefern die Rechner Eurogenes Eutest V2 K15 und MDLP K23b in ihrer jeweiligen Oracle-Funktion. Für den Rechner Eurogenes K36, der eine hohe Differenzierungsfähigkeit besitzt, gibt es dort leider keine Oracle-Funktion. Eine sehr gute entsprechende Auswertung dieser Ergebnisse bietet die Fa. LM Genetics für etwa 10 Euro an. Dazu gehört dann auch eine Karte, auf welcher der Grad der Ähnlichkeit zu verschiedenen regionalen Bevölkerungen dargestellt wird.
Kann ich aufgrund meiner Herkunftsschätzungen davon ausgehen, dass ich englische oder skandinavische Vorfahren habe?
Joachim I. Koch:
Nein.
Wie in etwa würden meine Ergebnisse aussehen, wenn meine Vorfahren aus Bayern kommen würden?
Joachim I. Koch:
Bei AncestryDNA vielleicht 76% „Germanic Europe“, 10% „East Europe & Russia“, 5% „England, Wales & Northwestern Europe“, 4% „Italy“, 2% „France“, 2% „Greece & the Balkans“ und 1% „Sweden“.
Wenn ich vor 100, 200 oder 300 Jahren einen Vorfahren hätte, der aus bspw. Italien kommen würde, könnte man das anhand der Herkunftsschätzung sehen und wenn ja, wie würde sich dies bemerkbar machen?
Joachim I. Koch:
Also vor 3, 6 und 9 Generationen. Das wäre 1/8, 1/64 und 1/512. Ich stelle einmal auf AncestryDNA ab. Da wären die jeweiligen Antworten ja, nein und nein. Bei dem 1/8 würden Sie vermutlich verschiedene südeuropäische Werte bekommen, die in Summe etwa 10% ausmachen würden.
Nun haben gerade Sie noch z. B. diese 24% schweden- und norwegenähnliche DNS als „Verfügungsmasse“. Zusammen mit vielleicht 5% echter italienischer DNS könnte vielleicht alles dieses als weitere 29% „deutschsprachiges Europa“ uminterpretiert werden, so dass nur noch ein kleinerer Teil von etwa 5% ausgewiesenes Südeuropa übrig bliebe.
Welche Bedeutung hat die Herkunftsschätzung für meine Familienforschung? Kann ich anhand der Schätzung hier weiterkommen? Mich irgendwie daran orientieren, z. B. bei der Überwindung eines toten Punktes?
Joachim I. Koch:
Nein, das geht nicht und da geraten Viele regelrecht auf den Holzweg. Nur in Ausnahmefällen, wenn es etwa um irgendwie exotische DNS geht oder auch der „tote Punkt“ schon der eigene Vater ist, der 50% von einem ausmacht, kann das auch hilfreich in der konkreten Genealogie sein.
Hinweis: Die Herkunftsschätzung wird bei den unterschiedlichen Anbietern unter verschiedenen Bezeichnungen angeboten.